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Armut: Wenn das Geld für den Ranzen fehltMit einem Spendentopf beim DRK kämpft Rügen gegen Ausgrenzung, die Kindern droht. 357 Mädchen und Jungen wurde schon geholfen.
Bergen. "Aus eigener Tasche könnten wir den Nachhilfeunterricht gar nicht bezahlen." Silvia Fey hat allen Mut zusammen genommen. Wer spricht schon gern über die Finanzsituation in der Familie. Bei den Feys reicht das Geld gerade mal für das Notwendigste. Dabei arbeitet das Familienoberhaupt als Barkeeper, sie eigentlich als Zimmermädchen, das krankheitsbedingt die Saison pausieren musste. Sohn André ist keine Leuchte in der Schule. Der Achtklässler bekommt Nachhilfeunterricht in Mathe und Physik. "Für sein Kind will jeder das Beste", ist Mutter Silvia froh, dass es den Spendentopf zur Förderung von Bildung und sozialer Integration beim Roten Kreuz Rügens gibt. Aus dem wird die Nachhilfe für André bezahlt.
"Feys sind kein Einzelfall", weiß Burkhard Päschke. Er koordiniert beim DRK das Projekt, das der Kreisverband im September 2005 initiierte. "Kinder sind nicht Schuld an der sozialen Schieflage, meistens aber die Leidtragenden, weil ihnen Ausgrenzung droht." Das, so DRK-Geschäftsführer Gerhard Konermann, müsse verhindert werden. Mit 15 000 Euro "Startkapital" fütterte das Rote Kreuz den Spendentopf, die Sparkasse mit 10 000 Euro. Bei der OZ-Weihnachtsaktion 2007 kamen rund 13 000 Euro dafür zusammen und Landrätin Kerstin Kassner sammelte anlässlich ihres 50. Geburtstages 2185 Euro. Summa summarum kamen bis dato mehr als 40 000 Euro zusammen, um Not lindern zu helfen.
Dafür engagieren sich Wohlfahrtsverbände und Vereine als Projekt- und Ansprechpartner wie das Kreisdiakonische Werk, die AWO und die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Bei der ist Karin Cimander als Sozialarbeiterin tätig. "Die Leute kommen erst zu uns, wenn sie wirklich nicht mehr weiter wissen", erzählt sie von einer Mutter, die ihrer Tochter nicht die für die Kochausbildung erforderliche Berufskleidung bezahlen kann. "Wie muss sich das Mädchen fühlen, wenn alle Mitschüler in der Klasse im weißen Ornat am Herd stehen, nur sie nicht?" Der Deckel vom Spendentopf öffnet sich in diesem wie in 204 weiteren Fällen. "357 Kindern und Jugendlichen konnte geholfen werden", zählt Burkhard Päschke auf: 72 mal wurde Geld für Lernmittel bereitgestellt, 36 mal Nachhilfe bezahlt und in 52 Fällen die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften gefördert.
"Etwa zwei Drittel der Kinder auf der Insel leben in Familien, die mit einem geringen Einkommen auskommen müssen." Für Landrätin Kerstin Kassner ist keine Besserung in Sicht. Sie findet es "traurig", dass in unserem Sozialstaat lokal solche Initiativen notwendig sind. Silvia Fey ist froh, dass es sie gibt. "Selbst wenn wir beide arbeiten, bekommen wir noch Hartz-IV dazu." Nachhilfe mutiert bei dem Familienbudget zum Luxus. Den André seit Juni genießen kann. "Er hat sich schon um eine Note verbessert", ist Mutter Silvia stolz.
"Das Geld geht aber zur Neige", schlägt Burkhard Päschke Alarm. Rund 10 000 Euro sind nur noch im Topf. Er schätzt, dass damit noch bis Mitte nächsten Jahres geholfen werden kann. Die Sparkasse signalisiert weitere Unterstützung. Kerstin Kassner appelliert an Betriebe: "Vielleicht könnten auf diese Weise sogar Patenschaften für einzelne Branchen entstehen."
Wer das Projekt unterstützen möchte, kann spenden: Das DRK hat ein Konto bei der Sparkasse Rügen eingerichtet, Konto-Nr. 39 001 758, BLZ 130 510 42, Verwendungszweck: Bildung und soziale Integration.
Udo Burwitz