Archiv 2010 << zurück
Ostsee-Zeitung, 21.05.2010Weil Rügen älter wird:
Jedes Jahr 500 Notfälle mehr
Der Rettungsdienst auf Rügen ist im Dauerstress: Allein 2009 mussten die Helfer zu 13 500 Einsätzen ausrücken. Tendenz weiter steigend.
Bergen. Ruhe, Auszeit, Leerlauf – was ist das? Für die Rettungsassistenten des Deutschen Roten Kreuzes auf Rügen sind diese Begriffe Fremdwörter. 13 500 Mal mussten die Lebensretter im vergangenen Jahr zu Einsätzen auf der Insel ausrücken. Das macht rechnerisch 37 Notfälle pro Tag, jede halbe Stunde einen. Dauerstress, der sogar noch zunehmen wird: Pro Jahr steigt die Zahl der Rettungsdienst-Einsätze umstolze 50.
Seit 1953 ist der Kreisverband des Roten Kreuzes (DRK) bereits auf Deutschlands größter Insel im Einsatz, um Menschen mit schweren Erkrankungen, Verletzungen oder auch nach Unfällen zu helfen und ins Krankenhaus zu bringen. Im Jahr 2000 übertrug der Landkreis dem DRK sogar die gesamte Verantwortung für die Organisation des Rettungsdienstes. „Damals sind wir 8000 Einsätze gefahren. Heute sind schon fast doppelt so viele“, sagt Rüdiger Eichinger, Leiter des Rettungsdienstes Rügen. Vor allem die Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen zu. Sie liegen mit weitem Abstand an der Spitze der Liste der häufigsten Notfälle.
Das DRK betreibt insgesamt sechs Rettungswachen auf der Insel. 65 Rettungsassistenten und 15 Sanitäter sind im Schichtdienst zu jeder Tages- und Nachtzeit sowie bei jedem Wetter in Bereitschaft. Elf Rettungswagen, drei Notarzt-Fahrzeuge und drei Krankentransportwagen gehören zum Fuhrpark. Auf Wittow und auf der Insel Hiddensee hilft zudem die Johanniter Unfallhilfe kräftig mit.
Ein riesiger Aufwand, der jedoch auch aus Sicht von Landrätin Kerstin Kassner (Die Linke) absolut notwendig ist: „Die Bevölkerung der Insel wird immer älter. Der demografische Wandel stellt auch den Rettungsdienst vor neue Herausforderungen.“ Die Rechnung ist simpel: ältere Menschen brauchen häufiger ärztliche Hilfe als junge. Und bis zum Jahr 2020 werden mehr als 30 Prozent aller Rüganer älter als 64 Jahre sein. „Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Zahl der Einsätze auch in Zukunft in diesem Maße steigen wird“, so Eichinger.
Das DRK ist dafür schon jetzt gut aufgestellt. Der Rettungsdienst hat sich in den vergangenen Monaten landesweit einer Qualitätsprüfung unterzogen – mit Erfolg. Die Tüv-Prüfer der Dekra verliehen den DRK-Kreisverbänden auf Rügen
und in Stralsund erst Mitte der Woche das Zertifikat ISO 9001-2008, das einen hohen Ausbildungsstand der Retter, modernste Technik und Einsatz-bereitschaft garantiert. Über Monate hatten die externen Fachleute Abläufe, Organisation, Ausstattung und Personal geprüft. Vor allem für das Können der Einsatzkräfte gab es großes Lob.
„Unser Rettungsdienstpersonal kann mehr, als das Gesetz verlangt“, sagt Dr. Knut Müller. Der Chefarzt der Sana-Klinik in Bergen ist gleichzeitig auch ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes. „Wenn ein Patient beispielsweise vor Ort wiederbelebt werden muss, dann hat er auf Rügen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, zu überleben. Weil unsere Männer und Frauen im Rettungsdienst so gut sind.“
Auch Landrätin Kerstin Kassner ist zufrieden: „Der Rettungsdienst auf der Insel ist spitze“, so ihr Urteil. Laut Gesetz muss bei einem medizinischen Notfall – ganz gleich, wo auch immer auf der Insel er sich ereignet zum Beispiel innerhalb von zehn Minuten Hilfe vor Ort sein. Diese Frist können wir leider nicht immer, aber in den allermeisten Fällen einhalten“, so Kassner.
Damit die Retter auch in Zukunft allen neuen Herausforderungen gewachsen sind, tauschen sich die Rettungsdienste des DRK landesweit in Internetforen aus. „Wir helfen und kontrollieren uns gegenseitig“, so Rüdiger Eichinger. Eine der Herausforderungen wird die Inbetriebnahme der gemeinsamen Leitstelle in Stralsund sein. „Aber auch das werden wir meistern.“
Von ANDREAS MEYER

Jan-Hendrik Hartlöhner (2. v. l.) überreicht das Zertifikat an den DRK-Vorsitzenden Andreas Bachmann (v. l.), Geschäftsführer Gerhard Konermann, Dr. Knut Müller (ärztlicher Leiter) und Landrätin Kerstin Kassner.
Foto: A. M.