Archiv 2010 << zurück
09.11.2010, OstseeZeitung
Geben und Nehmen zwischen Alt und Jung
Binzer Schüler gehen regelmäßig in das DRK-Pflegeheim und beschäftigen sich mit den Senioren. Auf den Besuch freuen sich beide Seiten sehr.
Binz. Wie jeden Donnerstag sitzt Fritz Dorn in freudiger Erwartung in seinem Zimmer im DRK-Pflegeheim in Binz. Der 88-Jährige schaut an diesem Tag viel öfter als sonst zur Uhr. Es ist nachmittags halb drei – Zeit, dass Elisa endlich kommt. Die 15-Jährige ist Schülerin an der Regionalen Schule Binz. Mit sieben anderen Schülerinnen und zwei Schülern aus der 8., 9. und 10. Klasse kommt sie ein Mal in der Woche ins Altersheim in der Mukraner Straße. Die Jugendlichen helfen bei der Essenausgabe zum Kaffee, gehen mit den Senioren im Ort spazieren, unterhalten sich mit ihnen, lesen ihnen ein Buch vor oder hören ihnen einfach nur zu.
Seit diesem Schuljahr läuft das Projekt, das die Jugendlichen im Rahmen der Angebote ihrer Ganztagsschule selbst gewählt haben. „Als ich mit dem Vorschlag an die Schule herantrat, habe ich nicht damit gerechnet, dass wir damit offene Türen einrennen“, freut sich Heimleiterin Alison Cowell über die gute Resonanz. „Die Jugendlichen waren richtig euphorisch und haben gleich Überstunden gemacht.“ Man habe drei, vier Schüler als Interessenten im Auge gehabt, aber es hatten sich gleich zehn gemeldet“, ist auch Schulleiter Peter Werner begeistert. Sozialkompetenz sei an der Schule ein wichtiges Thema. Die Erfahrungen und die Kontakte im Pflegeheim wären dafür bestens geeignet. Und werden lebensnaher als in jedem Unterricht vermittelt. Das Projekt soll auch im nächsten Schuljahr – dann mit neuen Schülern fortgeführt werden.
Für Fritz Dorn, der seit zwei Jahren im Heim lebt, sind die jungen Leute eine willkommene Abwechslung. Er bekommt gern Besuch. Aber bis die Angehörigen am Wochenende vorbeischauen, vergehen immer lange Tage. Seit ein paar Wochen kommt Elisa zu ihm. „Das ist große Klasse, so kann man ein bisschen erzählen“, sagt er mit wachen Augen. Und der Senior hat viel zu erzählen. Er ist sein Leben lang zur See gefahren, war 25 Jahre bei der Volksmarine und Fregattenkapitän. Er zeigt Elisa das Bild mit „seinem“ Schiff. „Mir gefällt es, etwas von früher oder vom Krieg zu erfahren und den Alltag von älteren Menschen kennenzulernen“, sagt Elisa, die sich schon festgelegt hat, wohin es beruflich einmal gehen soll. „Ich will Altenpflegerin werden.“
Das Projekt biete gute Voraussetzungen dafür, einen Einblick in den Pflegeberuf zu bekommen und Interesse dafür zu wecken, denkt Alison Cowell. Wie andernorts ist es auch für das DRK-Heim in Binz, in dem knapp 100 Bewohner leben, relativ schwer, Personal zu finden. Von den vier Azubi-Stellen sind derzeit nur zwei besetzt. Und vor allem bringen die Schüler das mit, was dem Pflegepersonal oft fehlt: Zeit. Lange Gespräche oder Spaziergänge sind einfach nicht drin, weiß Pflegedienstleiterin Madeleine Zaage. Aber gerade darüber freuen sich die alten Leute, von denen viele selten Besuch bekommen.
In der Gesundheits- und Krankenpflege will auch Isabell-Maria nach der Schule lernen und arbeiten. „Ich finde unser Projekt gut, weil man so in den Beruf hineinschnuppern kann. Es macht mir Spaß und wir verstehen uns gut.“ Die Schülerin der 10. Klasse geht regelmäßig zu Hildegard Gossing. Die alte Dame kann nicht mehr so gut sehen. „Nur vom Fernsehen kann man nicht leben“, freut sich die 83-Jährige, dass sie durch die junge Frau in das alltägliche Leben blicken kann. Wie die anderen erfährt auch die 15-Jährige bei den Senioren etwas, was ihr gut tut und sie bestärkt. „Es ist dieDankbarkeit.“ Das nächste Mal will Isabell-Marie ihrer Patin etwas aus ihrem Lieblingsbuch vorlesen. „Das ist eine ganz treue Seele“, sagt Hildegard Gossing. Isabell-Maria streichelt ihr sanft die Hand und sagt leise: „Ich werde auch nach dem Jahr weiter zu Ihnen kommen.“
GERIT HEROLD

Isabell-Maria (15) besucht jeden Donnerstag Hildegard Gossing im DRK-Pflegeheim in Binz. „Wir verstehen uns gut“, freuen sich beide auf die Zeit, die die Schülerin und die Seniorin miteinander verbringen.
Foto: GERIT HEROLD