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25.02.2015, OstseeZeitung
Helfer in Not: Immer mehr Lücken in den Regalen der Tafel
Lebensmittel werden knapp, nachdem zunehmend Asylbewerber um Unterstützung bitten. Warteliste für neue Kunden eingeführt – einheimische wie ausländische Hilfebedürftige.
Von Jörg Mattern

Lücken in den Lebensmittelregalen. Angelika Nahrhaft und ihre Mitstreiter von der Stralsunder Tafel sind darüber nicht glücklich. Foto: Jörg Mattern Stralsund – Bis auf Weiteres können aus Kapazitätsgründen keine neuen Kunden aufgenommen werden. Darüber informiert ein Aushang an der Tür zur Stralsunder Tafel in Deutsch und Englisch.
Die "Kapazitätsgründe" bereiten Kornelia Uschmann zunehmend Kopfzerbrechen. "Wir versorgen täglich bis zu 150 Menschen aus Stralsund und Umgebung mit Lebensmittelspenden", sagt die Tafelchefin. Zumeist sind dies Empfänger von Hartz IV oder Grundsicherung. Zunehmend kommen aber Asylbewerber, die ebenfalls nur Unterstützung nahe am Hartz-IV-Satz haben und bitten um Hilfe. "Für uns ist es wichtig, allen mit der wöchentlichen Lebensmitteltüte zu helfen, aber dafür reichen die Spenden nicht", betont sie. Engpässe gibt's bei Wurst und Joghurt. Mitte Januar musste die Tafel, die eine Einrichtung des DRK-Kreisverbandes Rügen Stralsund ist, die Notbremse ziehen.
"Seitdem führen wir eine Warteliste für einheimische wie ausländische Hilfebedürftige", sagt Kornelia Uschmann. Beim DRK fühlt man sich mit dem Problem alleine gelassen. "Hätten wir gewusst, wie viel da zusätzlich auf uns kommt, hätte uns das möglicherweise nicht so überrollt", sagt Uschmann. Kati Bischoff, Migrationsbeauftrage des Landkreises Vorpommern-Rügen, sagt dazu, dass es inzwischen ein erstes Gespräch gegeben hat. Inhalt unter anderem: "In diesem Jahr muss der Kreis 1053 Asylbewerber aufnehmen, die uns vom Land zugewiesen werden", so Bischoff. 905 waren es 2014. Doch eine Lösung, wie der Tafel geholfen werden kann, hat auch sie nicht. "Wir können Unterstützung geben bei Übersetzungen ins Arabische oder mit Empfehlungsschreiben, etwa um neue Spender für die Tafel zu gewinnen."
Etwa 30 Märkte, Discounter sowie Bäckereien spenden bislang für die Stralsunder Tafel. Die Läden des schwarz-gelben Nettos sind nicht dabei. "Generell arbeiten wir mit den Tafeln zusammen", betont Margit Kühn, stellvertretende Geschäftsführerin in der Netto-Zentrale in Stavenhagen. "Die Tafel sollte an uns herantreten, das Problem schildern und wir prüfen, wie wir helfen können."
Derzeit scheint die Stralsunder Tafel jedoch als einzige im Land mit dem Versorgungsengpass zu kämpfen. "Aus anderen größeren Städten wie Wismar, Rostock oder Neubrandenburg ist mir das so nicht bekannt", sagt Günther Hoffmann, amtierender Vorsitzender des Landesverbandes der Tafeln MV. Er verweist darauf, dass sich die Tafeln untereinander mit Lebensmitteln aushelfen und aus dem Zentrallager in Neubrandenburg zusätzlich Nahrungsmittel holen können. Möglichkeiten, von denen laut Kornelia Uschmann bereits Gebrauch gemacht wurde.
Aber Günther Hoffmann betont auch: "Aufgabe der Tafeln kann es nicht sein, eine Rundumversorgung für Hilfebedürftige zu leisten. Wir können nur verteilen, was wir gespendet bekommen."
Die OZ-Leser hatten ihre Solidarität mit der Tafel bei der jüngsten OZ-Weihnachtsaktion unter Beweis gestellt, als sie für ein neues Kühlfahrzeug, das beim Einsammeln der Lebensmittelspenden hilft, über 31 000 Euro spendeten.
Hilfe fürs letzte Glied der Kette
Für Jörg Mattern sind nicht Asylsuchende das Problem, sondern der Umgang mit dem Dilemma drumherum.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht – so steht es in Artikel 16a des Grundgesetzes. Über die Anerkennung von Verfolgung entscheiden Behörden. Doch der Amtsschimmel ist kein Rennpferd. Bis zum Entscheid über ihr Schicksal haben Asylsuchende das Recht auf ein Leben, das den Namen verdient. So steht's am Anfang des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Es reicht nicht, Asylsuchende an Kommunen durchzureichen und diese alleine zu lassen. Der Hinweis auf auskömmliches Leben für Asylbewerber nahe an der Sozialhilfe, löst das Problem nicht. Einheimische haben ebenso schwierige Erfahrungen mit Hartz IV. Hier gibt es nichts auseinander zu dividieren. Nicht die Asylbewerber sind das Problem, sondern der Umgang mit dem zugelassenen Dilemma. Die Ehrenamtler der Tafel haben es nicht verursacht. Als letztes Glied der Kette brauchen sie Hilfe von allen, die Menschen in Not – Einheimischen wie Ausländern – helfen können. Landkreis, freie Träger und potentielle Spender großer Discounter müssen sich dazu verständigen.