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09.06.2016, OstseeZeitung
Teilhabe am Leben für 220 Rüganer mit Handicap
Die Werkstatt für behinderte Menschen in Bergen bat zum großen Sommerfest / Besucher warfen Blick hinter die Kulissen von Tischlerei, Näherei und Montage
Von Anne Ziebarth

Marcel-Christian Lange (l.) arbeitet in der Tischlerei der Werkstätten in Bergen. Bei einem Rundgang mit Werkstattleiter Sören Baumeister (Mitte) bekommt auch sein Opa Karl-Heinz Roschild Gelegenheit für einen Blick hinter die Kulissen, hier in der Halle für Druckerzeugnisse. Foto: A. Ziebarth
Bergen. Sogar die extra ausgewiesenen Parkplätze am Tilzower Weg wurden knapp, so viele Menschen kamen gestern nach Bergen, um mit den Mitarbeitern der Werkstatt für behinderte Menschen ihr traditionelles Sommerfest zu feiern. Die Einrichtung des DRK Kreisverbandes Rügen-Stralsund, in der 220 überwiegend geistig behinderte Menschen in mehreren Arbeitsbereichen ganz unterschiedliche Waren produzieren, besteht seit neunzehn Jahren am Standort in Bergen und ist längst ein bekannter Name für gelungenes Engagement und gute Qualität geworden.
Beim Sommerfest konnten sich die Besucher nicht nur bei Dosenwerfen und Musik vergnügen, viele warfen auch einen Blick in die Räume der Werkstätten, die sonst den Mitarbeitern vorbehalten sind. "Wir haben hier viele Arbeitsbereiche, unter anderem die Tischlerei, die Näherei oder Metallwerkstatt", erklärt Werkstattleiter Sören Baumeister (44). "Außerdem arbeiten die Mitarbeiter zum Beispiel auch im Garten- und Landschaftsbau oder der Montage. 25 Mitarbeiter sind auch an Arbeitsstellen außerhalb unserer Werkstätten beschäftigt."
Die Produkte, die in den Rügener Werkstätten gefertigt werden, sind dementsprechend vielfältig: Die Produktpalette reicht von der kleinen Stoff-Eule bis zum individuell gefertigten Strandkorb. "Die Strandkörbe sind ein gutes Beispiel für die übergreifende Arbeit im Haus", erklärt Baumeister. "Die Holzkonstruktion entsteht in unserer Tischlerei, an den bedruckten Stoffen sind Mitarbeiter der Näherei und des Textildrucks beteiligt."
Ein wichtiges Element der Fertigung seien die vielen kleinen Schritte in der Produktion. "Wir können keine hochkomplexen Aufgaben mit vielen Arbeitsschritten von unseren Mitarbeitern verlangen, also sehen wir zu, dass jeder Mensch hier seinen kleinen aber wichtigen Arbeitsschritt bekommt, den er beherrscht und mit dem er sich wohlfühlt", so Baumeister.
Besonders viele Mitarbeiter, nämlich 50, arbeiten in der sogenannten "Montage".Derzeit warten hier viele hundert Kartons mit eingelegtem Fischkonserven der Firma Rügenfisch darauf, bearbeitet zu werden. Sie erhalten in den Werkstätten ihre farbige Umverpackung, bevor sie den Weg ins Supermarktregal antreten. "Keine sehr aufwändige Arbeit, aber Sorgfalt ist Pflicht", so Baumeister. "Unsere Kunden haben null Prozent Fehlertoleranz." Nicht nur Rügenfisch setzt auf günstige und gute Waren aus Bergen.
Auch Holger Kliewe vom Ummanzer Erlebnisbauernhof Kliewe hat schon Holzarbeiten in Auftrag gegeben und seine Flyer mit Einlegern bestücken lassen. Ihn verbindet aber noch etwas anderes mit den Werkstätten. Seine 27-Jährige Tochter ist hier beschäftigt. "Ich bin von der Betreuung der Mitarbeiter und der Arbeit in den Werkstätten sehr überzeugt. Das ist eine tolle Einrichtung", sagt er. "Auch der Fahrdienst zu und von der Arbeit klappt problemlos."
Ein Ziel der Werkstätten sei es, die Menschen mit Handicap fit für den regulären Arbeitsmarkt zu machen. "Das gelingt aber nicht sehr oft, häufig wollen die Mitarbeiter wieder zurück zu uns ins gewohnte Umfeld", berichtet Baumeister.
Dabei betrachtet der Werkstattleiter die politischen Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. "Mit dem neuen Bildungs- und Teilhabegesetz sollen Menschen mit Handicap in Zukunft viel stärker in die freie Wirtschaft eingebunden werden", so Baumeister. "Dafür müssten sich aber die Betriebe auch mehr auf Menschen mit Behinderung einstellen."
Die Rügener Werkstätten
Die Einrichtung zur beruflichen Rehabilitation wird vom Deutschen Roten Kreuz betrieben und beschäftigt neben der Verwaltung derzeit 220 Mitarbeiter an vier Standorten auf Rügen, die meisten davon mit geistigen oder geistig-körperlichen Behinderungen. Die Mitarbeiter erhalten ein monatliches Entgelt von 150 Euro, eventuelle Gewinne werden in Ausrüstung der Werkstätten investiert oder auf das Entgelt aufgeschlagen.
Die Mitarbeiter werden zunächst in einem rund zweijährigen Berufsbildungs-Kurs in den Werkstätten auf ihre Tätigkeit in einem der Handwerksberufe vorbereitet, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen.